Susanne Bieri «Visible», Katalog Graphische Sammlung der Schweizerishen Landesbibliothek, Bern 1998 (English) Zur Form des Portfolios oder eines Trägers von vier Blättern in Mappenform greift Rudolf De Crignis in seiner Arbeit "Bourne Pencil Threads – Four Paintings". Es sind vier quadratische Halbkartonblätter, die durch eine spezifische Schichtung von Bleistiftlinien mit unterschiedlichem Weichheitsgrad und mittels einer Radiergummi- Technik auf Papier nur äusserst schwer unterscheidbare, kaum sichtbare "Bleistift- Gummi-Gewebe" zeigen. Durch die genannte Präsentationsform wird ihnen der nötige Rahmen gegeben, der einerseits als Schutzhülle dient, andererseits aber auch als Bühne funktioniert, indem erst beim Heben des Vorhangs, beziehungsweise hier beim Oeffnen der Deckel, dem fragilen Gebilde die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zwischen Betrachter und Objekt stellt sich dadurch unwillkürlich eine intime Nähe her. Vor bald dreissig Jahren, 1969, "zeichnete" Jan Dibbets mit Hilfe eines Traktors präzise Furchen in ein ausgewähltes Stück Sandstrand der holländischen Küste. Die Linien ergaben die Form eines Trapezes, und mit statischer Kameraeinstellung wurde dieser Vorgang gefilmt. Dabei zeichnete die Kamera ein im Entstehen begriffenes Rechteck auf, das bei der Projektion exakt den Begrenzungslinien des Bildschirmausschnitts entlang verlief. Das Weitwinkelobjektiv der Kamera korrigierte perspektivisch das reale Trapez im Sandboden. Nachdem die virtuelle Rechteck – beziehungsweise die reelle Trapez–Form fertiggestellt war, wurde von der oberen Bildkante des Bildschirms her, und parallel zu dieser, langsam aber unaufhaltsam das Gezeichnete ausgelöscht – denn das Meer bemächtigte sich mit der aufkommenden Flut wieder seines Territoriums – und sichtbar wurde, durch die Uebersetzung ins Schwarzweiss der Filmaufnahme, die diffus–bewegte, regelmässig in verschiedenen Grauwerten gemusterte Oberfläche des Wassers. Eine Uebertragen in das Medium Film wie bei Jan Dibbets Stück "12 hours tide object with correction of persepective", findet bei Rudolf De Crignis "Bourne Pencil Threads – Four Paintings" nicht statt. Hingegen besteht eine auffällige Verwandtschaft der beiden Arbeiten darin, dass eine bereits ausgeführte Geste wieder getilgt wird, und folglich die Absicht besteht, die Mittel der Aussage zurückzunehmen, oder zu entmaterialisieren. In beiden Fällen wird das genannte Resultat dank einer, mit grossem Aufwand betriebenen, prozessualen Technik erzielt. In einer ersten Phase werden Spuren gelegt. Mit einem Bleistift – mit jeweils einem Härtegrad pro Blatt - zeichnet Rudolf De Crignis Linien, die parallel zur Blattkante verlaufen. Das Blatt wird formatfüllend mit unzähligen Strichen bearbeitet, analog der Wiedergabe auf dem Bildschirm bei Jan Dibbets, jedoch im Unterschied zu diesem ganz ausgefüllt. Die Bleistiftspuren werden sodann mit Gummi teilweise wieder wegradiert. Das Blatt kann für diesen sich wiederholenden Vorgang gedreht werden, wobei Frequenz und Grad der Drehung einem intuitiven Entscheid des Künstlers unterliegen. Durch dieses Radieren wird die Zeichnung verwischt; die Ungenauigkeit, die entsteht, erzeugt den Eindruck einer Verflechtung von Bleistift und Gummi mit dem Papier. In weiteren Phasen wird diese Manipulation solange wiederholt, bis schliesslich durch die sich überlagernden Schichten eine vibrierende Wirkung entsteht und im Graphit feinste Farbnuancen erkennbar werden. Die kreuzweise übereinanderliegenden Bleistift– und Gummilagen sind theoretisch abzählbar, da die letzte Schicht aber immer mit Gummi radiert ist, sind sie in Wirklichkeit bloss erahnbar. Das Resultat wird, wie der Titel der Arbeit sagt, "Painting" genannt, und nicht wie man erwarten könnte, Zeichnung. Diese Betitelung wählt der Künstler im Hinblick auf die identische Aufbautechnik seiner Papierarbeiten und seiner blauen Oelgemälde, einem seiner weiteren wichtigen Betätigungsgebiete. Auch durch die optische Wirkung der Arbeiten auf Papier – übrigens eine Parallele zur bewegten, durchscheinenden Wasseroberfläche bei Jan Dibbets –, kann diese Benennung begründet werden. Die verwendeten Materialien erscheinen in einem Grad verwoben, dass unklar ist, in welcher Technik gearbeitet wurde. |