KUNSTFORUM Vol. 142 October - December 1998    International

Reinhard Ermen

Rudolf de Crignis
Colour Paintings
Galerie S65 Aalst (Belgium), 9/12 - 10/24/1998  (English)


 Dem eigentlichen Malprozess gehen intensive Vorbereitungen voraus. Immer 
wieder werden die quadratischen Leinwände mit Weiss grundiert, abgeschliffen 
und grundiert, bis ein präziser, makelloser Malkörper vorliegt der aussieht 
wie ein Kreideblock, denn auch die Kante wird behandelt wie der eigentliche 
Malgrund. Auf den setzt Rudolf de Crignis ( Schweizer, seit etwa 10 Jahre in 
New York lebend) dünne, lasierende Schichten von Blau bzw. Ultramarine; eine 
Folge, die gelegentlich unterbrochen wird durch Schleier anderer Farben. Das 
eine Bild etwa, dem sich der intelligent gemachte Katalog (Text: Sabine 
Müller) ausschliesslich widmet, wurde aus Ultramarineblau., Zinkweiss und im 
abschliessenden Bereich aus einer Schicht Zitronengelb gebaut. Doch zum 
Ultramarine kehrt der aufwendige Malprozess, der bis zu 38 Schichten über die 
Grundierung legen und sich wochenlang hinziehen kann, immer zurück.
 An den Selbstdarsteller Ives Klein, für den Blau (= IKB) ein Vehikel, eine 
Tür ins Transzendente war, erinnern de Crignis'Bilder kaum. Zu sehr kreist 
diese Arbeit um den medialen Eigensinn einer Malerei an sich, und ihre 
(unvermeidliche) Transzendenz rekrutiert sich weniger aus dem einen 
dominanten Ton (dessen Wirkungen ihre eigene Rezeptionsgeschichte haben), 
sondern viel mehr aus dem Prozess, dem Weg, der als komprimierte Zeit die 
materiale Anmutung mitproduziert, ohne sich aufzudrängen. Ohnehin kommt in 
diesen Bildern, die den Maler seit ca. 6 Jahren beschäftigen, viel zusammen. 
Die schöne Präzision, anders gesagt; ein gefühlsmässig richtiger Umgang mit 
intelektuellen Vorgaben hält das überwältigende Blau zusammen. Die Farbe 
scheint geradezu auf dem kreidigen Block zu schwimmen, tritt womöglich auch 
über die Ufer, was eine diskrete Spur in dem weissen Kreidesockel, der das 
Bild zur Wand vermittelt, bezeugt. Massive Gewichtigkeit wird indessen nie 
vorgetäuscht, ausser Frage steht, dass der Block, der von der Leinwand 
umspannte Keilrahmen ist. Leichtigkeit ist eines der ganz selbstverständlich 
mitlaufenden Wesensmerkmale dieser Malerei, die im übertragenen Sinne frei 
atmen kann. Die zahllosen lasierenden Schleier gestatten, ja ermöglichen den 
Einblick auf den Grund der Malerei, ohne das seidig schimmernde Relief mit 
seinen sanft, exakten Pinselbewegungen preiszugeben. Das Auge folgt in 
gewisser Weise dem Licht, das bei Tage ganze Farbräume öffnet und auch die 
andersfarbigen Kontrastlagen zum Schwingen bringt. Und trotzdem ist das 
grosse ultramarine Wunder niemals in Gefahr.
 Die Anliegen dieser Malerei sind keinesfalls neu, doch hier gelingt es durch 
ein Höchstmass an Konzentrationskraft radikale Beschränkung und klassische 
Ausgewogenheit zu vereinen. Solches geschieht in der Gegenwartskunst selten 
genug, obwohl die vielfach totgesagte Malerei zu diesen Synthesen eigentlich 
prädestiniert ist. Die zeitlos radikalisierte Klassizität geht hier soweit, 
dass sich das allgegenwärtige Blau (zuweilen) selbst vergisst. Im Vergleich 
der Bilder, die ausser den verschiedenen Massen fast keine Hierarchie kennen, 
werden die andersfarbigen Kontrastlagen plötzlich zu den alles 
unterscheidenden Momenten, und de Crignis selbst spricht immer wieder von 
"grünen", "gelben" oder "roten" Bildern. Vor geraumer Zeit gab es in 
diesem Sinne auch "schwarze" Bilder. Die conditio sine qua non 
(=Ultramarine) geht in der Gemeinschaft annähernd gleicher Individuen auf. 
Doch kaum ist der Betrachter mit einer dieser empfindsamen Gestalten allein, i
st nichts anderes da als Blau. Überwältigung ohne Überwältigungsästhetik! 
Allenfalls der Blick auf die Zarge, da wo die Farbschichten über die Ufer 
getreten sind, mag belegen, dass unter dieser Farbe noch andere Kräfte 
gearbeitet haben.