Elisabeth Grossmann «Die unterlegte Geometrie», catalog Regeln und Abweichung, Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst, Zürich Im Frühling 1997 zeigt de Crignis in der Starck Gallery New York eine Rauminszenierung, in der erstmals die Malerei und die Papierarbeiten in Relation gesetzt werden. 1] In der Mitte des Raumes befindet sich ein langer weisser Tisch, auf dem die unverglasten Zeichnungen präsentiert werden, an den Wänden antwortet eine Reihe von acht blauen monochromen Bildern. "Die ganze Installation wird zu einer Art von neugestaltetem oder auseinandergenommenem ‚Bild‘. Und sie antwortet auf die intakten vertikalen Bilder an der Wand. Sie kommentieren einander gegenseitig, machen einander gegenseitig deutlich. Je länger man die Zeichnungen studiert, desto besser versteht man, was auf den Bildern vor sich geht und umgekehrt, allerdings in sehr subtiler Weise." 2] De Crignis‘ Inszenierung vermag unvermittelt auszudrücken, dass die zwei scheinbar separat geführten Untersuchungen, die monochrome Malerei auf der einen, die geometrischen Papierarbeiten auf der anderen Seite, einen gemeinsamen Ursprung besitzen. "Meine Malerei ist über Farbe, Licht und Raum. Bei der Ölmalerei sind es die Farben Blau. Und bei den Papierarbeiten die Farben des Graphit. Die zahlreichen Farbschichten werden je horizontal oder vertikal übereinander gelegt. Die Horizontalen und Vertikalen der verschiedenen Schichten fügen sich zu einem feinen geometrischen Raster zusammen, der in beiden Gruppen von Arbeiten klar sichtbar ist." 3] Beide Werkgruppen werden somit über eine geometrische Ordnung entwickelt, und bei beiden Medien werden die Grundstrukturen über den wiederholten Prozess von Zudecken und Wegwischen zu einem innerbildlichen Netz zusammengefügt. "Farbe, Licht und Raum" 4] ist der Dreiklang, den de Crignis über die Auseinandersetzung mit der Monochromie sucht. Beat Wismer schreibt über den Malvorgang und dessen Wirkung: "Die Tiefe des Bildes wird mit mehreren Schichten Blau über einen strahlend weissen, lichthaltigen Kreidegrund aufgebaut. Vom tiefsten Grund bis zur obersten Aussenhaut wird beim Aufbau der Malerei über jede blaue Fläche eine lineare Zone in Schwarz aufgelegt, bei den unteren Schichten quasi eingeschoben, sie hat Raum zu schaffen zwischen den Flächen; die mit feinstem Pinsel aufgetragenen Linien aber, noch nass, kaum gezogen, werden mit breiter Bürste wieder vertrieben. Dadurch wird ein hoher Grad an Transparenz realisiert, die oberste Fläche präsentiert sich wie eine Membrane oder eine Haut, sie beginnt mit den darunter liegenden, getrennt aufgetragenen Schichten zu interferieren und als Bildfläche fein zu vibrieren und leise zu klingen." 5] Parallel zur Malerei wird auch die Zeichnung über mehrere Stufen erarbeitet. Die mit der Hand gezogene Linienstruktur wird in mehreren Vorgängen mit dem Radiergummi verrieben, verwischt und neu angelegt, bis sich, "an der schieren Grenze zur Unsichtbarkeit, Fläche und Linie in ein vibrierendes Verhältnis" 6] begeben. Anders als bei Gottfried Honegger oder Stéphane Brunner, bei denen die Monochromie stets mit der geometrischen Bildanlage in Dialog steht, ist die geometrische Struktur in de Crignis‘ Bildern in den Malprozess und die Zeitdimension verlegt. Dennoch wirkt sie sich auf die Wahrnehmung des monochromen Bildraumes aus, indem sich dieser, über die übereinanderlagernden Farbschichten, in seiner ganzen Tiefendimension eröffnet. 1] Kunst-Bulletin Nr. 4, April 1997, Text Carin Kuoni 2] zit. Folk, Gregory, 8 Paintings, 21 Drawings and a Table, Zürich 1997 3] zit. Crignis, Rudolf de, unveröffentlichter Text, New York 1997, nicht paginiert 4] zit. Crignis, Rudolf de, a.a.O. 51, nicht paginiert 5] zit. Wismer, Beat, "Malerei, so verstanden, ist eine einsame Angelegenheit", in: Rudolf de Crignis, Winterthur 1995, S. 24 6] zit. Wismer, Beat, a.a.O. 53, S. 25 |