Enno Stahl
Fenster zum Inneren der Farbe
Kaum jemand malt so nuancenreich: Bilder von Rudolf DeCrignis bei S65.
Die Farbe und ihre Wirkung sind Themen, mit denen sich die analytische Malerei
schon lange beschäftigt. Der Bauhauskünstler Josef Albers setzte identische
Farbwerte in verschiedenen Formen und Kombinationen ins Verhältnis, um zu er-
weisen, wie sich das Auge sich in Sachen Farbe täuschen kann. Der Schweizer
Rudolf DeCrignis hat einen eigenen Weg gefunden, der diesen Konflikt gewisser-
massen ins “Innere” der Farbe verlagert.
Auf den ersten Blick sind die monochrom grauen und blauen Mittel- und Gross-
formate, die augenblicklich in der Galerie S65 zu sehen sind, unauffällig.
Doch dann, fällt ihre Oberflächentextur ins Auge - der senkrecht und waagrecht
geführte Farbauftrag. Offensichtlich geht es de Crignis nicht darum, nach Art
der konkreten Malerei die Malspuren zu verwischen. Das Strichgitter verweist
im Gegenteil auf eine individuelle Methode, die der Maler so beschreibt: “Die
Oberflächenfarbe ist Ergebnis der Verbindung und Sättigung verschiedener Farben:
Sie ist auch ein Resultat der Reibung und Interaktion der widerstreitenden Farben
in jeder Arbeit”
Durchwoben, pulsierend
Jene Farbe, die man unmittelbar wahrnimmt (oder wahrzunehmen meint), entsteht
also aus der Kombination mehrerer Farben, die Bilder sind nicht wirklich
“monochrome”, sondern durchwoben von einer pulsierenden Wellenrhythmik, die
von den unterlegten Farbschichten herrühren. Grau ist daher nicht gleich Grau. Jedes
Bild ist ein Unikat, so täuschend ähnlich die vermeintlich Gleichfarbigen dem
Betrachter auch vorkommen mögen. De Crignis sieht seine Bilder nicht als Objekte.
Um sie noch mehr dem Galerieraum anzupassen, sind ihre Kanten geweisst, wodurch
sie wie farbige Fenster im Raum erscheinen. De Crignis konzipiert seine Gemälde
nämlich in bewusster Auseinandersetzung von Farbe und Licht, bearbeitet die
spezifischen Wechselwirkungen zwischen beiden so lange, bis das Bild die gewünschte
Lichtwirkung quasi “in sich trägt”, sie “verkörpert”.
Gerade deswegen bleibt es dem Betrachter überlassen, welche Distanz er wählt,
um den Raum zwischen Bild und Auge als “aktiven Raum” zu realisieren.
Kölner Stadtanzeiger, 28.Mai, 2005.
|