Gregory Volk
8 Bilder, 21 Zeichnungen und ein Tisch (English)
Was ich zuerst besprechen möchte, sind nicht Rudolf De Crignis' 8 sorgfältig
gearbeitete monochrome Bilder an der Wand, noch seine 21 feinen, auf einem
schmalen Tisch sorgfältig in einer Reihe ausgelegten Bleistiftzeichnungen auf
Papier, sondern zwei leere Räume – zwei Volumen – die ein wichtiger teil der
Installation sind. Der eine, ein Korridor oder Durchgang zwischen den zwei
Serien, erscheint aufgeladen mit dem spürbaren Dialog, der zwischen den
beiden Arbeiten stattfindet, zwischen dem feinen Netz von Pinselstrichen in
den Bildern und den gleichfalls (fast bis zur Unsichtbarkeit) feinen
Bleistiftlinien der Zeichnungen, wie auch der Leuchtkraft der beiden. Dies
schafft eine faszinierende Situation für den Betrachter; man ist nicht
ausserhalb und schaut aus Distanz auf die Arbeiten, sondern befindet sich
innerhalb eines leeren Raumes voller Beziehnungen. Der andere Raum ist viel
grösser, ausladend und hat ein offenes Ende. Er beginnt am äusseren Ende des
Tisches und ist nichts anderes als die Galerie selber. Mit seinem gewölbten
Innern und seiner meditativen Aura ist er an sich schon beeindruckend. Das
Wort Grosszügigkeit drängt sich auf: Eine grosszügige Aufmerksamkeit im Bezug
auf diesen Raum und wie man sich als Betrachter desselben fühlen mag.
Die Bilder Jedes unterscheidet sich vom anderen im Bezug auf hellere oder
dunklere Farbtöne, Pinselstriche, Textur und schliesslich Präsenz, obwohl
durchgängig dasselbe Ultramarine – Pigment gebraucht wurde. Variation, wie
zurückhaltend auch immer, ist entscheidend für De Crignis' Aesthetik.
Obwohl ein Aspekt von serieller Arbeitsweise hineinspielt, ergeben
sich vollkommen eigenständige Werke – oder, wie man sagen könnte, eine Serie
von miteinander verbundenen Einmaligkeiten. Jedes Bild ist individuell
gemacht, aufgebaut, oder je nachdem entdeckt und aufgespürt, da de Crignis'
Prozess immer eher Arbeit mit als Arbeit am oder auf dem Material ist.
Er baut seine Bilder langsam und in mehreren Schichten auf. Man kann ihre
Dichte, ihre Geschichte erahnen. Tausende von Pinselstrichen haben allerdings
die eigenartige Qualität, ausserordentlich präsent wie auch zurückgezogen zu
sein. Farbe ist offensichtlich entscheidend, dieses strahlende und
ursprüngliche Blau in seinen verschiedenen Erscheinungen. In De Crignis'
Arbeit ist es besonders konzentriert, aber es scheint auch von den Bildern
als Ganzes auszustrahlen, die Grenzen abzutasten, in den Raum einzudringen
und mit dem vorhandenen und sich ändernden Licht von aussen in ein
Wechselspiel zu treten.
Die Zeichnungen Sie sind auf genormtem weissem Papier ausgeführt, was sehr
interessant ist, suggeriert ihr Glanz doch etwas komplett anderes, etwa eine
strahlend weisse Farbschicht. Ein äusserst gewöhnliches Material erlangt so
eine unerwartete Lebendigkeit, sogar etwas Beschwörendes und Ehrfürchtiges,
aber ohne jeglichen Pomp. Die sichtbaren Felder bestehen aus vielen geraden,
handgezogenen Bleistiftlinien. De Crignis benutzt Bleistifte von
unterschiedlicher Dicke, jedoch nicht kombiniert – ein Bleistifttypus für
jede Zeichnung. Dieser prozess des sich über ein leeres Papier Beugens und
Dutzende von kaum sichtbaren Linien Ziehens hat etwas erfrischend Manisches
und Absurdes. Obwohl das Resultat überhaupt nicht danach aussieht. Im
Gegenteil, diese Zeichnungen scheinen gleichzeitig ungezwungen und erlesen.
Und sie sind durchdrungen von einem Gefühl der Entdeckung. Etwas
Ungewöhnliches geschieht: Von einem bestimmten Blickwinkel aus kann man kaum
noch Spuren von Linien finden und es scheint, als ob De Crignis nicht auf
Papier gezeichnet, sondern eher in das Papier hineingearbeitet hat, in die
Tiefe, in ein sich zurückziehendes Inneres. Von anderen Blickwinkeln aus
sieht man sehr viel – kräftige Strukturen und sich ständig ändernde
Geometrien. Trotz aller Strenge von De Crignis' Aesthetik ist der Wandel in
seinen Arbeiten dauernd präsent. Nur ein Schritt, und die Dinge erscheinen
in neuer Ordnung. Man beugt sich leicht, und die Ordnung verändert sich
erneut. Licht von aussen oder von oben verändert die Dinge vollständig.
Der Tisch tut genau was er soll – er präsentiert die Zeichnungen in dieser
besonderen Art – und hat doch seinen eigene Aura, den Anklang an Zeremonien
und Bankette, an Rituale und Feiern. Im allgemeinen hat De Crignis' Arbeit
einen feinen Klang von Feierlichkeit. Die weisse Oberfläche des Tisches ist –
nebenbei bemerkt – aus Kreidegrundierung, derselben, welche für die
Grundierung der Bilder benutzt wurde. Dies leitet eine faszinierende
Kreisbewegung ein. Das Holz des Tisches steht in Zusammenhang mit den
Keilrahmen. Kreidegrundierung wird auch für die Bilder verwendet, die weissen
Blätter haben die Anmutung von frischer Farbe, und De Crignis'
Bleistiftstrukturen suggerieren darunterliegende Kohleskizzen, wie sie
traditionellerweise von Künstlern bei der Komposition eines Bildes gebraucht
wurden. Die ganze Installation wird zu einer Art von neugestaltetem oder
auseinandergenommenem "Bild" . Und sie antwortet auf die intakten vertikalen
Bilder an der Wand. Sie kommentieren einander gegenseitig, machen einander
gegenseitig deutlich. Je länger man die Zeichnungen studiert, desto besser
versteht man , was auf den Bildern vor sich geht und umgekehrt, allerdings in
sehr subtiler Weise. De Crignis' sich im Hintergrund haltende Werke verlangen
Geduld und die Fähigkeit zu warten. Ohne dezidiert ortsspezifisch zu sein,
scheinen sie mit ausserordentlich feinem Gespür mit den exakten Gegebenheiten
des Ortes verbunden.
Übersetzung: Yvonne Kopp Koelliker, Hubert Bächler, Zürich
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